25
Apr
2006

fasching

62---
Heine, Heinrich (1797-1856)

Dieser Liebe toller Fasching
Dieser Liebe toller Fasching,
Dieser Taumel unsrer Herzen,
Geht zu Ende, und ernüchtert
Gähnen wir einander an!
Ausgetrunken ist der Kelch,
Der mit Sinnenrausch gefüllt war,
Schäumend, lodernd, bis am Rande;
Ausgetrunken ist der Kelch.

Es verstummen auch die Geigen,
Die zum Tanze mächtig spielten,
Zu dem Tanz der Leidenschaft;
Auch die Geigen, sie verstummen.

Es erlöschen auch die Lampen,
Die das wilde Licht ergossen
Auf den bunten Mummenschanz;
Auch die Lampen, sie erlöschen.

Morgen kommt der Aschenmittwoch,
Und ich zeichne deine Stirne
Mit dem Aschenkreuz und spreche:
Weib, bedenke, daß du Staub bist.

63---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Das macht den Menschen glücklich
Das macht den Menschen glücklich,
Das macht den Menschen matt,
Wenn er drei sehr schöne Geliebte
Und nur zwei Beine hat.
Der einen lauf ich des Morgens,
Der andern des Abends nach;
Die dritte kommt zu mir des Mittags
Wohl unter mein eignes Dach.

Lebt wohl, ihr drei Geliebten,
Ich hab zwei Beine nur,
Ich will in ländlicher Stille
Genießen die schöne Natur.

63---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Badende Elfe
Dämmernd liegt der Sommerabend
Über Wald und grünen Wiesen;
Goldner Mond im blauen Himmel
Strahlt herunter, duftig labend.
An dem Bache zirpt die Grille,
Und es regt sich in dem Wasser,
Und der Wandrer hört ein Plätschern
Und ein Atmen in der Stille.

Dorten, an dem Bach alleine,
Badet sich die schöne Elfe;
Arm und Nacken, weiß und lieblich,
Schimmern in dem Mondenscheine.

64---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Hast du die Lippen mir wund geküßt
Hast du die Lippen mir wund geküßt,
So küsse sie wieder heil,
Und wenn du bis Abend nicht fertig bist,
So hat es auch keine Eil.
Du hast ja noch die ganze Nacht,
Du Herzallerliebste mein!
Man kann in solch einer ganzen Nacht
Viel küssen und selig sein.

65---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Die Liebe
Die Liebe begann im Monat März,
Wo mir erkrankte Sinn und Herz.
Doch als der Mai, der grüne, kam:
Ein Ende all mein Trauern nahm.
Es war am Nachmittag um Drei
Wohl auf der Moosbank der Einsiedelei,
Die hinter der Linde liegt versteckt,
Da hab ich ihr mein Herz entdeckt.
Die Blumen dufteten. Im Baum
Die Nachtigall sang, doch hörten wir kaum
Ein einziges Wort von ihrem Gesinge,
Wir hatten zu reden viel wichtige Dinge.

Wir schwuren uns Treue bis in den Tod.
Die Stunden schwanden, das Abendrot
Erlosch. Doch saßen wir lange Zeit
Und weinten in der Dunkelheit

66---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Ich wandle unter Blumen
Und blühe selber mit,
Ich wandle wie im Traume
Und schwanke bei jedem Schritt.
O halt mich fest, Geliebte!
Vor Liebestrunkenheit
Fall' ich dir sonst zu Füßen
Und der Garten ist voller Leut!

67---


Was es ist



Es ist Unsinn

sagt die Vernunft

Es ist was es ist

sagt die Liebe



Es ist Unglück

sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz

sagt die Angst

Es ist aussichtslos

sagt die Einsicht

Es ist was es ist

sagt die Liebe



Es ist lächerlich

sagt der Stolz

Es ist leichtsinnig

sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich

sagt die Erfahrung

Es ist was es ist

sagt die Liebe


erich fried
68---
Dich



Dich

dich sein lassen

ganz dich



Sehen

daß du nur du bist

wenn du alles bist

was du bist

das Zarte

und das Wilde

das was sich losreißen

und das was sich anschmiegen will



Wer nur die Hälfte liebt

der liebt dich nicht halb

sondern gar nicht

der will dich zurechtschneiden

amputieren

verstümmeln



Dich dich sein lassen

ob das schwer oder leicht ist?

Es kommt nicht darauf an mit wieviel

sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel

offener Sehnsucht nach allem -

nach allem

was du ist



Nach der Wärme

und nach der Kälte

nach der Güte

und nach dem Starrsinn

und deinem Willen

und Unwillen

nach jeder deiner Gebärden

nach deiner Ungebärdigkeit

Unstetigkeit

Stetigkeit



Dann

ist dieses

dich dich sein lassen

vielleicht gar nicht so schwer.

erich fried

69---
Du



Wo keine Freiheit ist

bist du die Freiheit

Wo keine Würde ist

bist du die Würde

Wo keine Wärme ist

keine Nähe von Mensch zu Mensch

bist du die Nähe und Wärme

Herz der herzlosen Welt



Deine Lippen und deine Zunge

sind Fragen und Antwort

In deinen Armen und deinem Schoß

ist etwas wie Ruhe

Jedes Fortgehenmüssen von dir

geht zu auf das Wiederkommen

Du bist ein Anfang der Zukunft

Herz der herzlosen Welt



Du bist kein Glaubensartikel

und keine Philosophie

keine Vorschrift und kein Besitz

an den man sich klammert

Du bist ein lebender Mensch

du bist eine Frau

und kannst irren und zweifeln und gutsein

Herz der herzlosen Welt

Erich Fried


70---
Gedankenfreiheit



Wenn ich an deinen Mund denke

wie du mir etwas erzählst

dann denke ich

an deine Worte

und an deine Gedanken

und an des Ausdruck

deiner Augen

beim Sprechen



Aber wenn ich an deinen Mund denke

wie er an meinem Mund liegt

dann denke ich

an deinen Mund

und an deinen Mund

und an deinen Mund

und an deinen Schoß

und an deine Augen

Erich Fried

71---


Liebesgedicht



Verschließe meinen Mund mit deinem Schoß

Die kurze Zeit laß mich ein Teil von dir sein

und dich von mir. Als könnte wirklich

ein Teil sein Ganzes je so überraschen

mit Glück, mit Lust. Da bebt und schmilzt die Welt

auf unseren vier Lippen. Da und da

ist jedes Wort nur noch Umschreibung, ärmer

als das was ist und sich bewegt und lebt



Und doch bleibt dieses oder jenes Wort

vielleicht ein Abglanz, eine Spur, an der

noch zu erkennen wäre, wie wir beide

als wir noch beide hier waren, einander

gut kannten. Spur nur, blaß und viel zu trocken

und ohne dein Vibrieren, deinen Duft

und ganz vorbei

doch noch nicht ganz vergesse

Erich Fried

72---



Erwartung



Deine ferne Stimme

ganz nahe am Telefon -

und ich werde sie bald aus der Nähe

entfernter hören

weil sie dann von deinem Mund

bis zu meinen Ohren

den langen Weg nehmen muß

hindurch zwischen deinen Brüsten

über den Nabel hin

und den kleinen Hügel

deinen ganzen Körper entlang

an dem zu hinabsiehst

bis hinunter zu meinem Kopf

dessen Gesicht

vergraben ist zwischen deine gehobenen Schenkel

in deine Haare

und in deinen Schoß






Was es ist



Es ist Unsinn

sagt die Vernunft

Es ist was es ist

sagt die Liebe



Es ist Unglück

sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz

sagt die Angst

Es ist aussichtslos

sagt die Einsicht

Es ist was es ist

sagt die Liebe



Es ist lächerlich

sagt der Stolz

Es ist leichtsinnig

sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich

sagt die Erfahrung

Es ist was es ist

sagt die Liebe






Dich



Dich

dich sein lassen

ganz dich



Sehen

daß du nur du bist

wenn du alles bist

was du bist

das Zarte

und das Wilde

das was sich losreißen

und das was sich anschmiegen will



Wer nur die Hälfte liebt

der liebt dich nicht halb

sondern gar nicht

der will dich zurechtschneiden

amputieren

verstümmeln



Dich dich sein lassen

ob das schwer oder leicht ist?

Es kommt nicht darauf an mit wieviel

sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel

offener Sehnsucht nach allem -

nach allem

was du ist



Nach der Wärme

und nach der Kälte

nach der Güte

und nach dem Starrsinn

und deinem Willen

und Unwillen

nach jeder deiner Gebärden

nach deiner Ungebärdigkeit

Unstetigkeit

Stetigkeit



Dann

ist dieses

dich dich sein lassen

vielleicht gar nicht so schwer.






Du



Wo keine Freiheit ist

bist du die Freiheit

Wo keine Würde ist

bist du die Würde

Wo keine Wärme ist

keine Nähe von Mensch zu Mensch

bist du die Nähe und Wärme

Herz der herzlosen Welt



Deine Lippen und deine Zunge

sind Fragen und Antwort

In deinen Armen und deinem Schoß

ist etwas wie Ruhe

Jedes Fortgehenmüssen von dir

geht zu auf das Wiederkommen

Du bist ein Anfang der Zukunft

Herz der herzlosen Welt



Du bist kein Glaubensartikel

und keine Philosophie

keine Vorschrift und kein Besitz

an den man sich klammert

Du bist ein lebender Mensch

du bist eine Frau

und kannst irren und zweifeln und gutsein

Herz der herzlosen Welt














Zwischenspiel



Und wenn mein Zeigefinger

schon naß ist von dir

mir noch Zeit nehmen

und mit meiner Kuppe

auf deinen Bauch

ein Herz malen

so daß dein Nabel

mitten im Herzen der Stelle ist

wo angeblich Amors Pfeil

das Herz durchbohrt hat

und dann erst

wenn du erraten hast

daß es ein Herz war

was ich auf dich

gezeichnet habe

erich fried

73---

Esto es amor (Soneto)


Desmayarse, atreverse, estar furioso,
áspero, tierno, liberal, esquivo,
alentado, mortal, difunto, vivo,
leal, traidor, cobarde, animoso;

no hallar fuera del bien centro y reposo,
mostrarse alegre, triste, humilde, altivo,
enojado, valiente, fugitivo,
satisfecho, ofendido, receloso;

huir el rostro al claro desengaño,
beber veneno por licor suave,
olvidar el provecho, amar el daño;

creer que un cielo en un infierno cabe,
dar la vida y el alma a un desengaño:
esto es amor: quien lo probó lo sabe.

LOPE DE VEGA

74---

¿Qué es poesía?, dices mientras clavas
en mi pupila tu pupila azul.
¿Que es poesía?. ¿Y tú me lo preguntas?.

Poesía..., eres tú.



Gustavo Adolfo Bécquer

75---
Andre beten zur Madonne,
Andre auch zu Paul und Peter;
Ich jedoch, ich will nur beten,
Nur zu dir, du schöne Sonne.
Gib mir Küsse, gib mir Wonne,
Sei mir gütig, sei mir gnädig,
Schönste Sonne unter den Mädchen,
Schönstes Mädchen unter der Sonne!

Heinrich Heine

76---
Erich Fried (1921-1988)

Dich küssen wollen

Dich küssen wollen
deine Finger und deine Handflächen
deine Lippen und deine Zunge
deine Augen und deine Brüste
deine Achselhöhlen und Kniekehlen
und deinen Schoß

Dich einatmen wollen
und ausatmen
und wieder einatmen beim Küssen
dich berühren und sehen wollen
und riechen und kosten beim Küssen

Dich anbeten beim Küssen
und bei jedem Gedanken daran
dich geküßt zu haben
und dich wieder zu küssen

Und wissen daß du es bist
beim Denken an dich
und beim Küssen


77---

Ricarda Huch (1864-1947)

Deine Küsse sind so:
Süß wie einst, süßer als einst.
Was du denkst, was du hoffst, was du weinst,
Was in Jahren entfloh,
Ungeküßter Küsse Glut,
Ungestillter Sehnsucht Drang,
Götterkraft, Jugendblut,
Liebe das Leben lang
Überglüht mich heiß,
Überfließt mich ganz,
Wie von den Bergen Weiß
Des Mondes fließt,
Fern ferner Sonnenglanz,
Durch Nacht versüßt.

78---
Heinrich Heine (1797-1856)

Küsse, die man stiehlt im Dunkeln
Und im Dunkeln wiedergibt,
Solche Küsse wie beselgen
Sie die Seele, wenn sie liebt!

Ahnend und erinnrungsüchtig,
Denkt die Seele sich dabei
Manches von vergangnen Tagen,
Und von Zukunft mancherlei.

Doch das gar zu viele Denken
Ist bedenklich, wenn man küßt;
Weine lieber, liebe Seele,
Weil das Weinen leichter ist.
79---
Heinrich Heine (1797-1856)




O schwöre nicht und küsse nur,
Ich glaube keinem Weiberschwur!
Dein Wort ist süß, doch süßer ist
Der Kuß, den ich dir abgeküßt!
Den hab ich, und dran glaub ich auch,
Das Wort ist eitel Dunst und Hauch

80---
Erich Fried
(1921-1988)

Wie du solltest geküsset sein
(nach einem Gedichttitel
von Paul Flemming,
1609-1640)
für Elisabeth

Wenn ich dich küsse
ist es nicht nur dein Mund
nicht nur dein Nabel
nicht nur dein Schoß
den ich küsse
Ich küsse auch deine Fragen
und deine Wünsche
ich küsse dein Nachdenken
deine Zweifel
und deinen Mut
deine Liebe zu mir
und deine freiheit von mir
deinen Fuß
der hergekommen ist
und der wieder fortgeht
ich küsse dich
wie du bist
und wie du sein wirst
morgen und später
und wenn meine zeit vorbei ist

81---
Ingeborg Bachmann (1926-1973)

Reigen

Reigen - die Liebe hält manchmal
im Löschen der Augen ein,
und wir sehen in ihre eignen
erloschenen Augen hinein.

Kalter Rauch aus dem Krater
haucht unsre Wimpern an;
es hielt die schreckliche Leere
nur einmal den Atem an.

Wir haben die toten Augen
gesehn und vergessen nie.
Die Liebe währt am längsten
und sie erkennt uns nie.

82---
Charlotte von Ahlefeld (1781-1849)



An Gräfin Caroline B.

Der Blumen Sprache möchtest Du ergründen,
Um sanft in ihr Dein Innres zu ergießen?
Um in des Kranzes Harmonie zu winden
Des Herzens Blüthen, die sich still erschließen,
Die noch umhüllt von zarter Knospen Grün,
Nur leise Dir im Hauch der Ahndung blühn.

Allein es ward mir nicht die Macht gegeben,
Zu deuten Dir den seelenvollen Sinn,
Der in der Blumen still entsproßtem Leben
Uns zeigt der Mystik magischen Gewinn,
Die im geheimnisvoll gewebten Schleier
Die Seele füllt mit nahmenloser Feier.

Ich kenne nur der Blumen stilles Blühen,
Und ihr Vergehn im Schooße der Natur.
Nur drei sah ich enträthselt einst erglühen,
Im reinen Lichte einer schönern Flur,
Und diese drei will ich Dir liebend brechen,
Bedarfst Du mehr, Dein Innres auszusprechen? -

So nimm denn aus des Sommers reicher Fülle,
Die Lilie, der Unschuld Ebenbild,
Die in der schimmerlosen, weißen Hülle
Den Balsamodem spendet, süß und mild.
In ihr kannst Du mit stillem Selbstvertrauen
Dein eignes Ich in schöner Reinheit schauen.

Die blaue Winde, die die zarten Ranken
Im linden Hauche jedes Lüftchens regt,
Und seufzend säuselt in dem steten Schwanken,
Das ihrer Blüthe tiefen Kelch bewegt -
Sie ist der Sehnsucht Bild, die – tief verschwistert
Dem Sterblichen – in jedem Busen flüstert.

Die Liebe, die des Lebens Kronen windet,
Hat sich die Purpurrose vorbehalten.
Wenn ihre Gluth der Lilie sich verbindet,
Muß sich des Daseyns höchstes Glück gestalten.
In ihres Duftes wonnevollem Gruße
Berührt der Himmel uns mit süßem Kuße.

Mischt sich der Sehnsucht leicht erregtes Beben
In Deines Herzens ruhiges Entzücken,
Wenn Dir der Unschuld Genien das Leben
Im Morgenglanz der Jugend lächelnd schmücken,
So dufte in der Zukunft dunklem Schooße
Dir lohnend einst der Liebe Purpurrose.

83---
Charlotte von Ahlefeld (1781-1849)



Sehnende Erwartung

Es lärmt der Markt – Geräusch erfüllt die Straßen,
Die Glocke klingt, die Thür geht auf und zu,
Und fremde Stimmen, fremde Schritte schallen
Dem lauschenden, getäuschten Ohr entgegen,
Das jedem Selbstbetruge freudig glaubt.

Doch ach umsonst! es regt sich frohes Leben,
Und Thätigkeit im tosenden Gedränge
Der lauten Stadt, die – wie ein wogend Meer
Den isolirten Felsen rings umspühlt -
Mich Einsame umgiebt. – Ach Deine Stimme
Vernehm' ich nicht – harmonisch würde dann
Das wild verworrene Geräusch mich grüßen,
Das jetzt betäubend mir die Brust beklemmt.
Zerstreuung möcht' ich im Gewühle suchen,
Doch mitten unter Menschen fühl' ich mich allein
Mit Deinem Bilde, das in meiner Seele
Mild wie der Mond in ew'ger Klarheit strahlet.
Ja, immer stehst Du vor mir, rein und liebend,
Für mich der Inbegriff des höchsten Glücks.
Aus Deinem Ernste saug' ich meinen Schmerz,
Begeistrung weht Dein Athem mir entgegen
Und neuen Muth erweckt in mir Dein Blick.

O weile nicht – der Trennung finstre Wolken
Umziehen bald den Horizont des Lebens
Und weite Ferne drängt sich zwischen uns.
So gönne mir die letzten, goldnen Strahlen,
Die meine dunkle Bahn mir noch erhellen.
Denn schnell entflieht die Zeit – auf ihren Schwingen
Nimmt sie die Blüthen unsers Daseyns mit,
Und nur die Reue bleibt, die um versäumte Stunden
Den Trauerflor vergebner Wehmuth breitet.
O laß ihr keinen Augenblick verhüllen,
Den wir dem Schicksal abgewinnen dürfen,
Und eile sehnend, wie ich Dich erwarte,
Dem Herzen zu, das Dir entgegen schlägt.

84---
Annemarie Bostroem (geb. 1922)



Laß mich allein, Geliebter, daß der Morgen
mich schlafend finde wie ein müdes Kind.
Zutiefst in meinem Sein bist Du geborgen,

auch wenn wir nicht mehr beieinander sind.
Du darfst mich nie so lieben, daß das Feuer
der Sehnsucht ganz aus meinem Herzen rinnt

und daß nicht im Vollenden schon ein neuer
Brand sich, entzündet, den mir Deine Hand
nicht wieder löschen kann, wenn sie in scheuer

Liebkosung werbend meinen Leib umspannt.
Wenn Du mich liebst, so laß auch von den Qualen
der Trennung jäh in unser bis zum Rand

erfülltes Glück die ersten Tropfen fallen.


85---
Annemarie Bostroem (geb. 1922)



Du bist in meinen Armen eingeschlafen,
und Deine wirren Haare lagen dicht
an meiner Schulter. Meine Blicke trafen

fast scheu Dein wehrlos offenes Gesicht,
als würden sie ein Heiligtum entweihen,
das sie zu hüten hatten, aber nicht

betreten durften. Kannst Du mir verzeihen,
daß ich Dich küßte, daß ich Deine Nacht
nicht ganz von meiner Nähe zu befreien

vermochte? Und Du bist nicht aufgewacht,
als ich den Mund auf Deine Schläfe legte
und spürte, wie sich die geheime Macht

des Blutes darin auf und ab bewegte.

86---
Annemarie Bostroem (geb. 1922)



Weil ich das Feuer liebe, die Gefahr
der freien Flamme, nicht die stille Glut
des Herdes, weil ich Frieden und Altar

für mich verschmähe, opfert sich mein Blut
doch einer Gottheit nur: der Leidenschaft.
Weil ich das Wasser liebe in der Flut

des hohen Meeres, die erlöste Kraft
der Lüfte, unerbittlich klar und groß,
weil ich die Erde liebe und den Saft

der Früchte, die dem mütterlichen Schoß
entquellen: Atem, Duft und Blut für mich,
weil ich das Leben liebe, schrankenlos,

weil ich die Liebe liebe, lieb ich Dich.


87---
Luise Büchner (1821-1877)



Jugendträume

Kalt ist, wer nicht Liebe suchet,
Spricht der Menschen große Zahl,
Elend ist, wer nie empfunden
Ihre Lust und ihre Qual!

Und das Letzte was sie sagen,
O, ich glaub' es ihnen wohl,
Aber niemals kann ich fassen,
Daß man Liebe suchen soll.

Liebe muß sich auf uns senken
Wie ein schöner, gold'ner Traum,
Ahnungslos muß sie durchdringen
Unsres Herzens tiefsten Raum.

Und wenn dann wir leis' erwachen,
Steht sie da als Königin,
Und vor ihrem Strahlenblicke
Sinken machtlos wir dahin.

So muß uns die Liebe nahen,
Soll sie heil'ge Liebe sein,
Denn der Schlaf schützt reine Herzen,
Himmlisches nur läßt er ein.

Wollte Gott mir leuchten lassen
Solcher Liebe Himmelslicht,
Knieend wollt' ich sie empfangen,
Doch sie suchen kann ich nicht

88---
Hilde Domin (1909-2006)



Dein Mund auf meinem

Dein Mund auf meinem.
Ich verlor allen Umriß.
Tausend kleine Blüten
öffneten ihre Kelche
auf meinem Körper.

Du küßtest mich zärtlich
und gingst.

Trockene Scham wie ein Feuer
stand rot mir
auf Bauch und Brüsten.


89---
Hilde Domin (1909-2006)



Galionsfigur

Ich bin nur die Vorderste.
die Galionsfigur,
die sichtbare Spitze
des dunklen Schiffs.

Schweigend wie Tote
aber die ein Ruf weckt
warten die andern,
eine Front wie ein Keil.

Oft ist als reiße die Haut
zwischen einer von ihnen und mir
und ich werde gesalbt
mit der fremden Erfahrung.

Schalen bieten sich dir
in meinen Händen
und fangen dich auf,
über die ich staune wie du.

Und weil ich zittre vor Liebe
sind alle gierig
daß keine Sehnsucht von dir
ungestillt bleibt.


90---
Hilde Domin (1909-2006)



Frage

Nach dem kleinen Zusammenstoß
- ein Druck der Lippe genügt -,
wenn ich eine Wolke werde
oder ein Schiff ohne Anker
auf deinem Meer
oder, ganz einfach,
eine andere Form
für dich,
was wird aus dir?
Und wie vermeidest du's,
am nächsten Morgen
ein wenig befangen zu sein?

91---

Hilde Domin (1909-2006)



Vor Tag

Der Kuß aus Rosenblättern,
immer neue weiche kleine
Blätter der sich öffnenden Blüte.

Nicht jenes Wenig von Raum
für die Spanne des Wunschs
zwischen Nehmen und Geben.

Du hobst die Decke von mir
so behutsam
wie man ein Kind nicht weckt
oder als wär ich
so zerbrechlich
wie ich bin.

Ich wurde nicht wirklicher
als ein Gedicht
oder ein Traum
oder die Wolke
unter der Wolke.

Und doch, als du fort warst,
der zärtliche Zweifel:
Ist es tröstlich
für einen Mann
mit einer Wolke zu schlafen?

92---
Mascha Kaleko (1907-1975)

Ein Herr namens Tristan

Als er zum ersten Mal in meinem Leben
Die Hand mir drückte (halb verführerisch,
Halb sorgenvoll) - auf einmal wußte ich,
Als wär es lang versiegelt und verbucht:
... Dies war er, den ich unbewußt gesucht.
Nie wieder wird es seinesgleichen geben.

Und von dem Tag, wiewohl es streng verboten
War, ihm zu nahn - es sei denn, schwesterlich -
Wenn er mich ansah, sang mein Herz nach Noten:
ich liebe dich ...
Weh mir: ich liebe, liebe, liebe dich!
93---
Mascha Kaleko (1907-1975)

Alle 7 Jahre

In den weisen Büchern habe ich gelesen:
Alle sieben Jahre wandelt sich dein Wesen.
Alle sieben Jahre, merket, Mann und Weib,
Wandelt sich die Seele, wandelt sich der Leib.

Wandelt sich dein Hassen, wandelt sich dein Lieben.
Und ich zählte heimlich: drei Mal, vier Mal sieben.
Ach, die Geister kamen. Und mein Ohr vernimmt:
Alle sieben Jahre ... Siehe da, es stimmt.

Sorgenvoll betracht ich alle Liebespaare.
Ob sie es wohl wissen: Alle sieben Jahre ... !
Selbst in deinen Armen fragt mein Schatten stumm:
Wann sind wohl, Geliebter, unsre sieben um?
94---
Mascha Kaleko (1907-1975)

Vierundzwanzig Stunden täglich

Manche Leute leben völlig gegen die Natur,
Eingespannt und stur,
Mit »eingebauter« Uhr,
Pünktlich nach Minute und Sekunde.
Doch bei mir ist Gott sei Dank von so was keine Spur,
Dem Glücklichen schlägt nämlich keine Stunde.
Und gegen Hast -
Da bin ich fast
Immun!
Es gibt doch so viel Besseres zu tun:
Vierundzwanzig Stunden täglich
Denk ich an dich.
Nur noch an dich.
Nur noch an dich.
Vierundzwanzig Stunden täglich,
Nachts noch im Traum.
Nichts hat neben dir noch Zeit und Raum.
Ob ich glücklich bin? Na, ganz unsäglich!
Volle vierundzwanzig Stunden täglich.
- Wissen möcht ich, was ich früher
All die zeit gemacht,
Eh ich vierundzwanzig Stunden
Nur an dich gedacht.

Manche Leute wissen nichts als Daten nur und Frist,
Und lauter solchen Mist,
Doch nicht, was Liebe ist.
Mich dauern solche abgehetzten Hunde.
Denn ich bin und bleib nun mal ein ewger Optimist,
Dem Glücklichen schlägt nämlich keine Stunde.
Und gegen Hast
Da bin ich fast
Immun!
Es gibt doch so viel Besseres zu tun:
Vierundzwanzig Stunden täglich
Denk ich an dich;
Nur noch an dich.
Nur noch an dich.
Vierundzwanzig Stunden täglich,
Nachts noch im Traum,
Nichts hat neben dir noch Zeit und Raum.
Ob ich glücklich bin? Na, ganz unsäglich!
Volle vierundzwanzig Stunden täglich.
- Wissen möcht ich, was ich früher
All die Zeit gemacht,
Eh ich vierundzwanzig Stunden
Nur an dich gedacht.


95---

Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)

Der Mond

Wie wundersam erwacht
Die kaum entschlafne Welt,
Wenn in das Haus der Nacht
Der Schein des Mondes fällt.

O Auge, das nicht sieht,
Erloschener Trabant,
O weißer Kelch, entblüht
Der dunkeln Himmelswand.

Dein Licht beglänzt die Saat,
Der schwarzen Wälder Hut,
Und zittert wie ein Pfad
Auf der bewegten Flut.

Und wie in rascher Flucht
Die Wolken dich umwehn,
Erschimmern Land und Bucht
Und schatten und vergehn.

Wie oft schon, reines Licht,
Der Liebe zugesellt,
Hast du das Angesicht
Des Freundes mir erhellt.

Es fällt der Liebe Wort
Süß in die dunkle Zeit,
Wie Mondschein auf den Ort
Der Traurigkeit.
96---
Else Lasker-Schüler (1869-1945)

DANN

... Dann kam die Nacht mit Deinem Traum
Im stillen Sternebrennen.
Und der Tag zog lächelnd an mir vorbei,
Und die wilden Rosen atmeten kaum.

Nun sehn' ich mich nach Traumesmai,
Nach Deinem Liebeoffenbaren.
Möchte an Deinem Munde brennen
Eine Traumzeit von tausend Jahren.


97---
Else Lasker-Schüler (1869-1945)

ICH BIN TRAURIG

Deine Küsse dunkeln, auf meinem Mund.
Du hast mich nicht mehr lieb.

Und wie du kamst -!
Blau vor Paradies;

Um deinen süßesten Brunnen
Gaukelte mein Herz.

Nun will ich es schminken,
Wie die Freudenmädchen
Die welke Rose ihrer Lende röten.

Unsere Augen sind halb geschlossen,
Wie sterbende Himmel -

Alt ist der Mond geworden.
Die Nacht wird nicht mehr wach.

Du erinnerst dich meiner kaum.
Wo soll ich mit meinem Herzen hin?

98---
Else Lasker-Schüler (1869-1945)

UNGLÜCKLICHER HASS
(Versrelief)

Du! Mein Böses liebt Dich
Und meine Seele steht
Furchtbarer über Dir,
Wie der drohendste Stern über Herculanum.

Wie eine Wildkatze springt
Mein Böses aus mir,
Und beisst nach Dir.
Entrissen
Von Liebesküssen
Aber taumelst Du
In Armen bekränzter Hetären
Durch rosenduftender Sphären
Rauschgesang.

Nachts schleichen Hyänen,
Wie brütende Finsternisse
Hungrig über meine Träume
Im Wutglüh'n meiner Thränen.

99---
Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942)

Schlaflied für die Sehnsucht

O lege, Geliebter,
den Kopf in die Hände
und höre, ich sing' dir ein Lied.
Ich sing' dir von Weh und von Tod und vom Ende,
ich sing' dir vom Glücke, das schied.

Komm, schließe die Augen,
ich will dich dann wiegen,
wir träumen dann beide vom Glück.
Wir träumen dann beide die goldensten Lügen,
wir träumen uns weit, weit zurück.

Und sieh nur, Geliebter,
im Traume da kehren
wieder die Tage voll Licht.
Vergessen die Stunden, die wehen und leeren
von Trauer und Leid und Verzicht.

Doch dann - das Erwachen,
Geliebter, ist Grauen -
ach, alles ist leerer als je -
Oh, könnten die Träume mein Glück wieder bauen,
verjagen mein wild-heißes Weh!

100---

Clara Müller-Jahnke (1860-1905)



Sonnenwende

Es fiel ein Blütenregen
herab auf Wald und Feld,
ein Netz von Sonnenstrahlen
umspinnt die grüne Welt;
das flammt und blüht und duftet
und höhnt den Glockenschlag,
als ging er nie zu Ende,
der süße, goldene Tag . . .

O Tag der Sonnenwende,
vollblühende Rosenzeit,
du hast mir ins Herz geduftet
berauschende Seligkeit!
Das pocht und glüht und zittert
und bebt im Vollgenuß,
als ging er nie zu Ende,
der süße, erste Kuß -

O Tag der Sonnenwende -

101--
Clara Müller-Jahnke (1860-1905)



Für heut

Ich will dir keine Freude rauben
und binde dich mit keiner Pflicht;
ich baue nicht auf Treu und Glauben,
ein festes Wort begehr ich nicht!
Für all die Liebe laß mich danken,
die du mir reich und glühend gibst, -
und mag dein Herz schon morgen wanken:
Ich weiß, daß du mich heute liebst!

Noch schäumt der Wein im Goldpokale,
noch duftet frisch der Blütenstrauß,
die Jugend gießt die volle Schale
des Glücks ob unsern Häupten aus; -
mit allen seinen Glutgedanken
zu eigen nimm mein tiefstes Sein . . .
und mag der Erdball morgen wanken:
Für heut, Geliebter, bist du mein!


102---
Auf die Hände küsst die Achtung,

Freundschaft auf die offne Stirn,

auf die Wange Wohlgefallen,

selge Liebe auf den Mund;

aufs geschlossne Aug die Sehnsucht,

in die hohle Hand Verlangen,

Arm und Nacken die Begierde;

überall sonst hin Raserei!

Franz Grillparzer
103---

Entmystifizierung des Sex

Du sagst
Ich soll nicht
LIEBE
Und LIEBEN sagen
Das bringt nichts mehr
Meinst du
Und ist zu mystisch
Und zu verschwommen

Nun ja
Ich kann natürlich
Auch die Zähne zusammenbeißen
Und BUMSEN sagen
Oder vielleicht sogar
FICKEN sagen
Wie du
Doch du weißt gar nicht
Wie mich das
Abregt

erich fried



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