fasching
62---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Dieser Liebe toller Fasching
Dieser Liebe toller Fasching,
Dieser Taumel unsrer Herzen,
Geht zu Ende, und ernüchtert
Gähnen wir einander an!
Ausgetrunken ist der Kelch,
Der mit Sinnenrausch gefüllt war,
Schäumend, lodernd, bis am Rande;
Ausgetrunken ist der Kelch.
Es verstummen auch die Geigen,
Die zum Tanze mächtig spielten,
Zu dem Tanz der Leidenschaft;
Auch die Geigen, sie verstummen.
Es erlöschen auch die Lampen,
Die das wilde Licht ergossen
Auf den bunten Mummenschanz;
Auch die Lampen, sie erlöschen.
Morgen kommt der Aschenmittwoch,
Und ich zeichne deine Stirne
Mit dem Aschenkreuz und spreche:
Weib, bedenke, daß du Staub bist.
63---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Das macht den Menschen glücklich
Das macht den Menschen glücklich,
Das macht den Menschen matt,
Wenn er drei sehr schöne Geliebte
Und nur zwei Beine hat.
Der einen lauf ich des Morgens,
Der andern des Abends nach;
Die dritte kommt zu mir des Mittags
Wohl unter mein eignes Dach.
Lebt wohl, ihr drei Geliebten,
Ich hab zwei Beine nur,
Ich will in ländlicher Stille
Genießen die schöne Natur.
63---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Badende Elfe
Dämmernd liegt der Sommerabend
Über Wald und grünen Wiesen;
Goldner Mond im blauen Himmel
Strahlt herunter, duftig labend.
An dem Bache zirpt die Grille,
Und es regt sich in dem Wasser,
Und der Wandrer hört ein Plätschern
Und ein Atmen in der Stille.
Dorten, an dem Bach alleine,
Badet sich die schöne Elfe;
Arm und Nacken, weiß und lieblich,
Schimmern in dem Mondenscheine.
64---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Hast du die Lippen mir wund geküßt
Hast du die Lippen mir wund geküßt,
So küsse sie wieder heil,
Und wenn du bis Abend nicht fertig bist,
So hat es auch keine Eil.
Du hast ja noch die ganze Nacht,
Du Herzallerliebste mein!
Man kann in solch einer ganzen Nacht
Viel küssen und selig sein.
65---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Die Liebe
Die Liebe begann im Monat März,
Wo mir erkrankte Sinn und Herz.
Doch als der Mai, der grüne, kam:
Ein Ende all mein Trauern nahm.
Es war am Nachmittag um Drei
Wohl auf der Moosbank der Einsiedelei,
Die hinter der Linde liegt versteckt,
Da hab ich ihr mein Herz entdeckt.
Die Blumen dufteten. Im Baum
Die Nachtigall sang, doch hörten wir kaum
Ein einziges Wort von ihrem Gesinge,
Wir hatten zu reden viel wichtige Dinge.
Wir schwuren uns Treue bis in den Tod.
Die Stunden schwanden, das Abendrot
Erlosch. Doch saßen wir lange Zeit
Und weinten in der Dunkelheit
66---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Ich wandle unter Blumen
Und blühe selber mit,
Ich wandle wie im Traume
Und schwanke bei jedem Schritt.
O halt mich fest, Geliebte!
Vor Liebestrunkenheit
Fall' ich dir sonst zu Füßen
Und der Garten ist voller Leut!
67---
Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
erich fried
68---
Dich
Dich
dich sein lassen
ganz dich
Sehen
daß du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will
Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln
Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem -
nach allem
was du ist
Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
und deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit
Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht gar nicht so schwer.
erich fried
69---
Du
Wo keine Freiheit ist
bist du die Freiheit
Wo keine Würde ist
bist du die Würde
Wo keine Wärme ist
keine Nähe von Mensch zu Mensch
bist du die Nähe und Wärme
Herz der herzlosen Welt
Deine Lippen und deine Zunge
sind Fragen und Antwort
In deinen Armen und deinem Schoß
ist etwas wie Ruhe
Jedes Fortgehenmüssen von dir
geht zu auf das Wiederkommen
Du bist ein Anfang der Zukunft
Herz der herzlosen Welt
Du bist kein Glaubensartikel
und keine Philosophie
keine Vorschrift und kein Besitz
an den man sich klammert
Du bist ein lebender Mensch
du bist eine Frau
und kannst irren und zweifeln und gutsein
Herz der herzlosen Welt
Erich Fried
70---
Gedankenfreiheit
Wenn ich an deinen Mund denke
wie du mir etwas erzählst
dann denke ich
an deine Worte
und an deine Gedanken
und an des Ausdruck
deiner Augen
beim Sprechen
Aber wenn ich an deinen Mund denke
wie er an meinem Mund liegt
dann denke ich
an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Schoß
und an deine Augen
Erich Fried
71---
Liebesgedicht
Verschließe meinen Mund mit deinem Schoß
Die kurze Zeit laß mich ein Teil von dir sein
und dich von mir. Als könnte wirklich
ein Teil sein Ganzes je so überraschen
mit Glück, mit Lust. Da bebt und schmilzt die Welt
auf unseren vier Lippen. Da und da
ist jedes Wort nur noch Umschreibung, ärmer
als das was ist und sich bewegt und lebt
Und doch bleibt dieses oder jenes Wort
vielleicht ein Abglanz, eine Spur, an der
noch zu erkennen wäre, wie wir beide
als wir noch beide hier waren, einander
gut kannten. Spur nur, blaß und viel zu trocken
und ohne dein Vibrieren, deinen Duft
und ganz vorbei
doch noch nicht ganz vergesse
Erich Fried
72---
Erwartung
Deine ferne Stimme
ganz nahe am Telefon -
und ich werde sie bald aus der Nähe
entfernter hören
weil sie dann von deinem Mund
bis zu meinen Ohren
den langen Weg nehmen muß
hindurch zwischen deinen Brüsten
über den Nabel hin
und den kleinen Hügel
deinen ganzen Körper entlang
an dem zu hinabsiehst
bis hinunter zu meinem Kopf
dessen Gesicht
vergraben ist zwischen deine gehobenen Schenkel
in deine Haare
und in deinen Schoß
Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Dich
Dich
dich sein lassen
ganz dich
Sehen
daß du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will
Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln
Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem -
nach allem
was du ist
Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
und deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit
Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht gar nicht so schwer.
Du
Wo keine Freiheit ist
bist du die Freiheit
Wo keine Würde ist
bist du die Würde
Wo keine Wärme ist
keine Nähe von Mensch zu Mensch
bist du die Nähe und Wärme
Herz der herzlosen Welt
Deine Lippen und deine Zunge
sind Fragen und Antwort
In deinen Armen und deinem Schoß
ist etwas wie Ruhe
Jedes Fortgehenmüssen von dir
geht zu auf das Wiederkommen
Du bist ein Anfang der Zukunft
Herz der herzlosen Welt
Du bist kein Glaubensartikel
und keine Philosophie
keine Vorschrift und kein Besitz
an den man sich klammert
Du bist ein lebender Mensch
du bist eine Frau
und kannst irren und zweifeln und gutsein
Herz der herzlosen Welt
Zwischenspiel
Und wenn mein Zeigefinger
schon naß ist von dir
mir noch Zeit nehmen
und mit meiner Kuppe
auf deinen Bauch
ein Herz malen
so daß dein Nabel
mitten im Herzen der Stelle ist
wo angeblich Amors Pfeil
das Herz durchbohrt hat
und dann erst
wenn du erraten hast
daß es ein Herz war
was ich auf dich
gezeichnet habe
erich fried
73---
Esto es amor (Soneto)
Desmayarse, atreverse, estar furioso,
áspero, tierno, liberal, esquivo,
alentado, mortal, difunto, vivo,
leal, traidor, cobarde, animoso;
no hallar fuera del bien centro y reposo,
mostrarse alegre, triste, humilde, altivo,
enojado, valiente, fugitivo,
satisfecho, ofendido, receloso;
huir el rostro al claro desengaño,
beber veneno por licor suave,
olvidar el provecho, amar el daño;
creer que un cielo en un infierno cabe,
dar la vida y el alma a un desengaño:
esto es amor: quien lo probó lo sabe.
LOPE DE VEGA
74---
¿Qué es poesía?, dices mientras clavas
en mi pupila tu pupila azul.
¿Que es poesía?. ¿Y tú me lo preguntas?.
Poesía..., eres tú.
Gustavo Adolfo Bécquer
75---
Andre beten zur Madonne,
Andre auch zu Paul und Peter;
Ich jedoch, ich will nur beten,
Nur zu dir, du schöne Sonne.
Gib mir Küsse, gib mir Wonne,
Sei mir gütig, sei mir gnädig,
Schönste Sonne unter den Mädchen,
Schönstes Mädchen unter der Sonne!
Heinrich Heine
76---
Erich Fried (1921-1988)
Dich küssen wollen
Dich küssen wollen
deine Finger und deine Handflächen
deine Lippen und deine Zunge
deine Augen und deine Brüste
deine Achselhöhlen und Kniekehlen
und deinen Schoß
Dich einatmen wollen
und ausatmen
und wieder einatmen beim Küssen
dich berühren und sehen wollen
und riechen und kosten beim Küssen
Dich anbeten beim Küssen
und bei jedem Gedanken daran
dich geküßt zu haben
und dich wieder zu küssen
Und wissen daß du es bist
beim Denken an dich
und beim Küssen
77---
Ricarda Huch (1864-1947)
Deine Küsse sind so:
Süß wie einst, süßer als einst.
Was du denkst, was du hoffst, was du weinst,
Was in Jahren entfloh,
Ungeküßter Küsse Glut,
Ungestillter Sehnsucht Drang,
Götterkraft, Jugendblut,
Liebe das Leben lang
Überglüht mich heiß,
Überfließt mich ganz,
Wie von den Bergen Weiß
Des Mondes fließt,
Fern ferner Sonnenglanz,
Durch Nacht versüßt.
78---
Heinrich Heine (1797-1856)
Küsse, die man stiehlt im Dunkeln
Und im Dunkeln wiedergibt,
Solche Küsse wie beselgen
Sie die Seele, wenn sie liebt!
Ahnend und erinnrungsüchtig,
Denkt die Seele sich dabei
Manches von vergangnen Tagen,
Und von Zukunft mancherlei.
Doch das gar zu viele Denken
Ist bedenklich, wenn man küßt;
Weine lieber, liebe Seele,
Weil das Weinen leichter ist.
79---
Heinrich Heine (1797-1856)
O schwöre nicht und küsse nur,
Ich glaube keinem Weiberschwur!
Dein Wort ist süß, doch süßer ist
Der Kuß, den ich dir abgeküßt!
Den hab ich, und dran glaub ich auch,
Das Wort ist eitel Dunst und Hauch
80---
Erich Fried
(1921-1988)
Wie du solltest geküsset sein
(nach einem Gedichttitel
von Paul Flemming,
1609-1640)
für Elisabeth
Wenn ich dich küsse
ist es nicht nur dein Mund
nicht nur dein Nabel
nicht nur dein Schoß
den ich küsse
Ich küsse auch deine Fragen
und deine Wünsche
ich küsse dein Nachdenken
deine Zweifel
und deinen Mut
deine Liebe zu mir
und deine freiheit von mir
deinen Fuß
der hergekommen ist
und der wieder fortgeht
ich küsse dich
wie du bist
und wie du sein wirst
morgen und später
und wenn meine zeit vorbei ist
81---
Ingeborg Bachmann (1926-1973)
Reigen
Reigen - die Liebe hält manchmal
im Löschen der Augen ein,
und wir sehen in ihre eignen
erloschenen Augen hinein.
Kalter Rauch aus dem Krater
haucht unsre Wimpern an;
es hielt die schreckliche Leere
nur einmal den Atem an.
Wir haben die toten Augen
gesehn und vergessen nie.
Die Liebe währt am längsten
und sie erkennt uns nie.
82---
Charlotte von Ahlefeld (1781-1849)
An Gräfin Caroline B.
Der Blumen Sprache möchtest Du ergründen,
Um sanft in ihr Dein Innres zu ergießen?
Um in des Kranzes Harmonie zu winden
Des Herzens Blüthen, die sich still erschließen,
Die noch umhüllt von zarter Knospen Grün,
Nur leise Dir im Hauch der Ahndung blühn.
Allein es ward mir nicht die Macht gegeben,
Zu deuten Dir den seelenvollen Sinn,
Der in der Blumen still entsproßtem Leben
Uns zeigt der Mystik magischen Gewinn,
Die im geheimnisvoll gewebten Schleier
Die Seele füllt mit nahmenloser Feier.
Ich kenne nur der Blumen stilles Blühen,
Und ihr Vergehn im Schooße der Natur.
Nur drei sah ich enträthselt einst erglühen,
Im reinen Lichte einer schönern Flur,
Und diese drei will ich Dir liebend brechen,
Bedarfst Du mehr, Dein Innres auszusprechen? -
So nimm denn aus des Sommers reicher Fülle,
Die Lilie, der Unschuld Ebenbild,
Die in der schimmerlosen, weißen Hülle
Den Balsamodem spendet, süß und mild.
In ihr kannst Du mit stillem Selbstvertrauen
Dein eignes Ich in schöner Reinheit schauen.
Die blaue Winde, die die zarten Ranken
Im linden Hauche jedes Lüftchens regt,
Und seufzend säuselt in dem steten Schwanken,
Das ihrer Blüthe tiefen Kelch bewegt -
Sie ist der Sehnsucht Bild, die – tief verschwistert
Dem Sterblichen – in jedem Busen flüstert.
Die Liebe, die des Lebens Kronen windet,
Hat sich die Purpurrose vorbehalten.
Wenn ihre Gluth der Lilie sich verbindet,
Muß sich des Daseyns höchstes Glück gestalten.
In ihres Duftes wonnevollem Gruße
Berührt der Himmel uns mit süßem Kuße.
Mischt sich der Sehnsucht leicht erregtes Beben
In Deines Herzens ruhiges Entzücken,
Wenn Dir der Unschuld Genien das Leben
Im Morgenglanz der Jugend lächelnd schmücken,
So dufte in der Zukunft dunklem Schooße
Dir lohnend einst der Liebe Purpurrose.
83---
Charlotte von Ahlefeld (1781-1849)
Sehnende Erwartung
Es lärmt der Markt – Geräusch erfüllt die Straßen,
Die Glocke klingt, die Thür geht auf und zu,
Und fremde Stimmen, fremde Schritte schallen
Dem lauschenden, getäuschten Ohr entgegen,
Das jedem Selbstbetruge freudig glaubt.
Doch ach umsonst! es regt sich frohes Leben,
Und Thätigkeit im tosenden Gedränge
Der lauten Stadt, die – wie ein wogend Meer
Den isolirten Felsen rings umspühlt -
Mich Einsame umgiebt. – Ach Deine Stimme
Vernehm' ich nicht – harmonisch würde dann
Das wild verworrene Geräusch mich grüßen,
Das jetzt betäubend mir die Brust beklemmt.
Zerstreuung möcht' ich im Gewühle suchen,
Doch mitten unter Menschen fühl' ich mich allein
Mit Deinem Bilde, das in meiner Seele
Mild wie der Mond in ew'ger Klarheit strahlet.
Ja, immer stehst Du vor mir, rein und liebend,
Für mich der Inbegriff des höchsten Glücks.
Aus Deinem Ernste saug' ich meinen Schmerz,
Begeistrung weht Dein Athem mir entgegen
Und neuen Muth erweckt in mir Dein Blick.
O weile nicht – der Trennung finstre Wolken
Umziehen bald den Horizont des Lebens
Und weite Ferne drängt sich zwischen uns.
So gönne mir die letzten, goldnen Strahlen,
Die meine dunkle Bahn mir noch erhellen.
Denn schnell entflieht die Zeit – auf ihren Schwingen
Nimmt sie die Blüthen unsers Daseyns mit,
Und nur die Reue bleibt, die um versäumte Stunden
Den Trauerflor vergebner Wehmuth breitet.
O laß ihr keinen Augenblick verhüllen,
Den wir dem Schicksal abgewinnen dürfen,
Und eile sehnend, wie ich Dich erwarte,
Dem Herzen zu, das Dir entgegen schlägt.
84---
Annemarie Bostroem (geb. 1922)
Laß mich allein, Geliebter, daß der Morgen
mich schlafend finde wie ein müdes Kind.
Zutiefst in meinem Sein bist Du geborgen,
auch wenn wir nicht mehr beieinander sind.
Du darfst mich nie so lieben, daß das Feuer
der Sehnsucht ganz aus meinem Herzen rinnt
und daß nicht im Vollenden schon ein neuer
Brand sich, entzündet, den mir Deine Hand
nicht wieder löschen kann, wenn sie in scheuer
Liebkosung werbend meinen Leib umspannt.
Wenn Du mich liebst, so laß auch von den Qualen
der Trennung jäh in unser bis zum Rand
erfülltes Glück die ersten Tropfen fallen.
85---
Annemarie Bostroem (geb. 1922)
Du bist in meinen Armen eingeschlafen,
und Deine wirren Haare lagen dicht
an meiner Schulter. Meine Blicke trafen
fast scheu Dein wehrlos offenes Gesicht,
als würden sie ein Heiligtum entweihen,
das sie zu hüten hatten, aber nicht
betreten durften. Kannst Du mir verzeihen,
daß ich Dich küßte, daß ich Deine Nacht
nicht ganz von meiner Nähe zu befreien
vermochte? Und Du bist nicht aufgewacht,
als ich den Mund auf Deine Schläfe legte
und spürte, wie sich die geheime Macht
des Blutes darin auf und ab bewegte.
86---
Annemarie Bostroem (geb. 1922)
Weil ich das Feuer liebe, die Gefahr
der freien Flamme, nicht die stille Glut
des Herdes, weil ich Frieden und Altar
für mich verschmähe, opfert sich mein Blut
doch einer Gottheit nur: der Leidenschaft.
Weil ich das Wasser liebe in der Flut
des hohen Meeres, die erlöste Kraft
der Lüfte, unerbittlich klar und groß,
weil ich die Erde liebe und den Saft
der Früchte, die dem mütterlichen Schoß
entquellen: Atem, Duft und Blut für mich,
weil ich das Leben liebe, schrankenlos,
weil ich die Liebe liebe, lieb ich Dich.
87---
Luise Büchner (1821-1877)
Jugendträume
Kalt ist, wer nicht Liebe suchet,
Spricht der Menschen große Zahl,
Elend ist, wer nie empfunden
Ihre Lust und ihre Qual!
Und das Letzte was sie sagen,
O, ich glaub' es ihnen wohl,
Aber niemals kann ich fassen,
Daß man Liebe suchen soll.
Liebe muß sich auf uns senken
Wie ein schöner, gold'ner Traum,
Ahnungslos muß sie durchdringen
Unsres Herzens tiefsten Raum.
Und wenn dann wir leis' erwachen,
Steht sie da als Königin,
Und vor ihrem Strahlenblicke
Sinken machtlos wir dahin.
So muß uns die Liebe nahen,
Soll sie heil'ge Liebe sein,
Denn der Schlaf schützt reine Herzen,
Himmlisches nur läßt er ein.
Wollte Gott mir leuchten lassen
Solcher Liebe Himmelslicht,
Knieend wollt' ich sie empfangen,
Doch sie suchen kann ich nicht
88---
Hilde Domin (1909-2006)
Dein Mund auf meinem
Dein Mund auf meinem.
Ich verlor allen Umriß.
Tausend kleine Blüten
öffneten ihre Kelche
auf meinem Körper.
Du küßtest mich zärtlich
und gingst.
Trockene Scham wie ein Feuer
stand rot mir
auf Bauch und Brüsten.
89---
Hilde Domin (1909-2006)
Galionsfigur
Ich bin nur die Vorderste.
die Galionsfigur,
die sichtbare Spitze
des dunklen Schiffs.
Schweigend wie Tote
aber die ein Ruf weckt
warten die andern,
eine Front wie ein Keil.
Oft ist als reiße die Haut
zwischen einer von ihnen und mir
und ich werde gesalbt
mit der fremden Erfahrung.
Schalen bieten sich dir
in meinen Händen
und fangen dich auf,
über die ich staune wie du.
Und weil ich zittre vor Liebe
sind alle gierig
daß keine Sehnsucht von dir
ungestillt bleibt.
90---
Hilde Domin (1909-2006)
Frage
Nach dem kleinen Zusammenstoß
- ein Druck der Lippe genügt -,
wenn ich eine Wolke werde
oder ein Schiff ohne Anker
auf deinem Meer
oder, ganz einfach,
eine andere Form
für dich,
was wird aus dir?
Und wie vermeidest du's,
am nächsten Morgen
ein wenig befangen zu sein?
91---
Hilde Domin (1909-2006)
Vor Tag
Der Kuß aus Rosenblättern,
immer neue weiche kleine
Blätter der sich öffnenden Blüte.
Nicht jenes Wenig von Raum
für die Spanne des Wunschs
zwischen Nehmen und Geben.
Du hobst die Decke von mir
so behutsam
wie man ein Kind nicht weckt
oder als wär ich
so zerbrechlich
wie ich bin.
Ich wurde nicht wirklicher
als ein Gedicht
oder ein Traum
oder die Wolke
unter der Wolke.
Und doch, als du fort warst,
der zärtliche Zweifel:
Ist es tröstlich
für einen Mann
mit einer Wolke zu schlafen?
92---
Mascha Kaleko (1907-1975)
Ein Herr namens Tristan
Als er zum ersten Mal in meinem Leben
Die Hand mir drückte (halb verführerisch,
Halb sorgenvoll) - auf einmal wußte ich,
Als wär es lang versiegelt und verbucht:
... Dies war er, den ich unbewußt gesucht.
Nie wieder wird es seinesgleichen geben.
Und von dem Tag, wiewohl es streng verboten
War, ihm zu nahn - es sei denn, schwesterlich -
Wenn er mich ansah, sang mein Herz nach Noten:
ich liebe dich ...
Weh mir: ich liebe, liebe, liebe dich!
93---
Mascha Kaleko (1907-1975)
Alle 7 Jahre
In den weisen Büchern habe ich gelesen:
Alle sieben Jahre wandelt sich dein Wesen.
Alle sieben Jahre, merket, Mann und Weib,
Wandelt sich die Seele, wandelt sich der Leib.
Wandelt sich dein Hassen, wandelt sich dein Lieben.
Und ich zählte heimlich: drei Mal, vier Mal sieben.
Ach, die Geister kamen. Und mein Ohr vernimmt:
Alle sieben Jahre ... Siehe da, es stimmt.
Sorgenvoll betracht ich alle Liebespaare.
Ob sie es wohl wissen: Alle sieben Jahre ... !
Selbst in deinen Armen fragt mein Schatten stumm:
Wann sind wohl, Geliebter, unsre sieben um?
94---
Mascha Kaleko (1907-1975)
Vierundzwanzig Stunden täglich
Manche Leute leben völlig gegen die Natur,
Eingespannt und stur,
Mit »eingebauter« Uhr,
Pünktlich nach Minute und Sekunde.
Doch bei mir ist Gott sei Dank von so was keine Spur,
Dem Glücklichen schlägt nämlich keine Stunde.
Und gegen Hast -
Da bin ich fast
Immun!
Es gibt doch so viel Besseres zu tun:
Vierundzwanzig Stunden täglich
Denk ich an dich.
Nur noch an dich.
Nur noch an dich.
Vierundzwanzig Stunden täglich,
Nachts noch im Traum.
Nichts hat neben dir noch Zeit und Raum.
Ob ich glücklich bin? Na, ganz unsäglich!
Volle vierundzwanzig Stunden täglich.
- Wissen möcht ich, was ich früher
All die zeit gemacht,
Eh ich vierundzwanzig Stunden
Nur an dich gedacht.
Manche Leute wissen nichts als Daten nur und Frist,
Und lauter solchen Mist,
Doch nicht, was Liebe ist.
Mich dauern solche abgehetzten Hunde.
Denn ich bin und bleib nun mal ein ewger Optimist,
Dem Glücklichen schlägt nämlich keine Stunde.
Und gegen Hast
Da bin ich fast
Immun!
Es gibt doch so viel Besseres zu tun:
Vierundzwanzig Stunden täglich
Denk ich an dich;
Nur noch an dich.
Nur noch an dich.
Vierundzwanzig Stunden täglich,
Nachts noch im Traum,
Nichts hat neben dir noch Zeit und Raum.
Ob ich glücklich bin? Na, ganz unsäglich!
Volle vierundzwanzig Stunden täglich.
- Wissen möcht ich, was ich früher
All die Zeit gemacht,
Eh ich vierundzwanzig Stunden
Nur an dich gedacht.
95---
Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)
Der Mond
Wie wundersam erwacht
Die kaum entschlafne Welt,
Wenn in das Haus der Nacht
Der Schein des Mondes fällt.
O Auge, das nicht sieht,
Erloschener Trabant,
O weißer Kelch, entblüht
Der dunkeln Himmelswand.
Dein Licht beglänzt die Saat,
Der schwarzen Wälder Hut,
Und zittert wie ein Pfad
Auf der bewegten Flut.
Und wie in rascher Flucht
Die Wolken dich umwehn,
Erschimmern Land und Bucht
Und schatten und vergehn.
Wie oft schon, reines Licht,
Der Liebe zugesellt,
Hast du das Angesicht
Des Freundes mir erhellt.
Es fällt der Liebe Wort
Süß in die dunkle Zeit,
Wie Mondschein auf den Ort
Der Traurigkeit.
96---
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
DANN
... Dann kam die Nacht mit Deinem Traum
Im stillen Sternebrennen.
Und der Tag zog lächelnd an mir vorbei,
Und die wilden Rosen atmeten kaum.
Nun sehn' ich mich nach Traumesmai,
Nach Deinem Liebeoffenbaren.
Möchte an Deinem Munde brennen
Eine Traumzeit von tausend Jahren.
97---
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
ICH BIN TRAURIG
Deine Küsse dunkeln, auf meinem Mund.
Du hast mich nicht mehr lieb.
Und wie du kamst -!
Blau vor Paradies;
Um deinen süßesten Brunnen
Gaukelte mein Herz.
Nun will ich es schminken,
Wie die Freudenmädchen
Die welke Rose ihrer Lende röten.
Unsere Augen sind halb geschlossen,
Wie sterbende Himmel -
Alt ist der Mond geworden.
Die Nacht wird nicht mehr wach.
Du erinnerst dich meiner kaum.
Wo soll ich mit meinem Herzen hin?
98---
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
UNGLÜCKLICHER HASS
(Versrelief)
Du! Mein Böses liebt Dich
Und meine Seele steht
Furchtbarer über Dir,
Wie der drohendste Stern über Herculanum.
Wie eine Wildkatze springt
Mein Böses aus mir,
Und beisst nach Dir.
Entrissen
Von Liebesküssen
Aber taumelst Du
In Armen bekränzter Hetären
Durch rosenduftender Sphären
Rauschgesang.
Nachts schleichen Hyänen,
Wie brütende Finsternisse
Hungrig über meine Träume
Im Wutglüh'n meiner Thränen.
99---
Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942)
Schlaflied für die Sehnsucht
O lege, Geliebter,
den Kopf in die Hände
und höre, ich sing' dir ein Lied.
Ich sing' dir von Weh und von Tod und vom Ende,
ich sing' dir vom Glücke, das schied.
Komm, schließe die Augen,
ich will dich dann wiegen,
wir träumen dann beide vom Glück.
Wir träumen dann beide die goldensten Lügen,
wir träumen uns weit, weit zurück.
Und sieh nur, Geliebter,
im Traume da kehren
wieder die Tage voll Licht.
Vergessen die Stunden, die wehen und leeren
von Trauer und Leid und Verzicht.
Doch dann - das Erwachen,
Geliebter, ist Grauen -
ach, alles ist leerer als je -
Oh, könnten die Träume mein Glück wieder bauen,
verjagen mein wild-heißes Weh!
100---
Clara Müller-Jahnke (1860-1905)
Sonnenwende
Es fiel ein Blütenregen
herab auf Wald und Feld,
ein Netz von Sonnenstrahlen
umspinnt die grüne Welt;
das flammt und blüht und duftet
und höhnt den Glockenschlag,
als ging er nie zu Ende,
der süße, goldene Tag . . .
O Tag der Sonnenwende,
vollblühende Rosenzeit,
du hast mir ins Herz geduftet
berauschende Seligkeit!
Das pocht und glüht und zittert
und bebt im Vollgenuß,
als ging er nie zu Ende,
der süße, erste Kuß -
O Tag der Sonnenwende -
101--
Clara Müller-Jahnke (1860-1905)
Für heut
Ich will dir keine Freude rauben
und binde dich mit keiner Pflicht;
ich baue nicht auf Treu und Glauben,
ein festes Wort begehr ich nicht!
Für all die Liebe laß mich danken,
die du mir reich und glühend gibst, -
und mag dein Herz schon morgen wanken:
Ich weiß, daß du mich heute liebst!
Noch schäumt der Wein im Goldpokale,
noch duftet frisch der Blütenstrauß,
die Jugend gießt die volle Schale
des Glücks ob unsern Häupten aus; -
mit allen seinen Glutgedanken
zu eigen nimm mein tiefstes Sein . . .
und mag der Erdball morgen wanken:
Für heut, Geliebter, bist du mein!
102---
Auf die Hände küsst die Achtung,
Freundschaft auf die offne Stirn,
auf die Wange Wohlgefallen,
selge Liebe auf den Mund;
aufs geschlossne Aug die Sehnsucht,
in die hohle Hand Verlangen,
Arm und Nacken die Begierde;
überall sonst hin Raserei!
Franz Grillparzer
103---
Entmystifizierung des Sex
Du sagst
Ich soll nicht
LIEBE
Und LIEBEN sagen
Das bringt nichts mehr
Meinst du
Und ist zu mystisch
Und zu verschwommen
Nun ja
Ich kann natürlich
Auch die Zähne zusammenbeißen
Und BUMSEN sagen
Oder vielleicht sogar
FICKEN sagen
Wie du
Doch du weißt gar nicht
Wie mich das
Abregt
erich fried
--
Heine, Heinrich (1797-1856)
Dieser Liebe toller Fasching
Dieser Liebe toller Fasching,
Dieser Taumel unsrer Herzen,
Geht zu Ende, und ernüchtert
Gähnen wir einander an!
Ausgetrunken ist der Kelch,
Der mit Sinnenrausch gefüllt war,
Schäumend, lodernd, bis am Rande;
Ausgetrunken ist der Kelch.
Es verstummen auch die Geigen,
Die zum Tanze mächtig spielten,
Zu dem Tanz der Leidenschaft;
Auch die Geigen, sie verstummen.
Es erlöschen auch die Lampen,
Die das wilde Licht ergossen
Auf den bunten Mummenschanz;
Auch die Lampen, sie erlöschen.
Morgen kommt der Aschenmittwoch,
Und ich zeichne deine Stirne
Mit dem Aschenkreuz und spreche:
Weib, bedenke, daß du Staub bist.
63---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Das macht den Menschen glücklich
Das macht den Menschen glücklich,
Das macht den Menschen matt,
Wenn er drei sehr schöne Geliebte
Und nur zwei Beine hat.
Der einen lauf ich des Morgens,
Der andern des Abends nach;
Die dritte kommt zu mir des Mittags
Wohl unter mein eignes Dach.
Lebt wohl, ihr drei Geliebten,
Ich hab zwei Beine nur,
Ich will in ländlicher Stille
Genießen die schöne Natur.
63---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Badende Elfe
Dämmernd liegt der Sommerabend
Über Wald und grünen Wiesen;
Goldner Mond im blauen Himmel
Strahlt herunter, duftig labend.
An dem Bache zirpt die Grille,
Und es regt sich in dem Wasser,
Und der Wandrer hört ein Plätschern
Und ein Atmen in der Stille.
Dorten, an dem Bach alleine,
Badet sich die schöne Elfe;
Arm und Nacken, weiß und lieblich,
Schimmern in dem Mondenscheine.
64---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Hast du die Lippen mir wund geküßt
Hast du die Lippen mir wund geküßt,
So küsse sie wieder heil,
Und wenn du bis Abend nicht fertig bist,
So hat es auch keine Eil.
Du hast ja noch die ganze Nacht,
Du Herzallerliebste mein!
Man kann in solch einer ganzen Nacht
Viel küssen und selig sein.
65---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Die Liebe
Die Liebe begann im Monat März,
Wo mir erkrankte Sinn und Herz.
Doch als der Mai, der grüne, kam:
Ein Ende all mein Trauern nahm.
Es war am Nachmittag um Drei
Wohl auf der Moosbank der Einsiedelei,
Die hinter der Linde liegt versteckt,
Da hab ich ihr mein Herz entdeckt.
Die Blumen dufteten. Im Baum
Die Nachtigall sang, doch hörten wir kaum
Ein einziges Wort von ihrem Gesinge,
Wir hatten zu reden viel wichtige Dinge.
Wir schwuren uns Treue bis in den Tod.
Die Stunden schwanden, das Abendrot
Erlosch. Doch saßen wir lange Zeit
Und weinten in der Dunkelheit
66---
Heine, Heinrich (1797-1856)
Ich wandle unter Blumen
Und blühe selber mit,
Ich wandle wie im Traume
Und schwanke bei jedem Schritt.
O halt mich fest, Geliebte!
Vor Liebestrunkenheit
Fall' ich dir sonst zu Füßen
Und der Garten ist voller Leut!
67---
Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
erich fried
68---
Dich
Dich
dich sein lassen
ganz dich
Sehen
daß du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will
Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln
Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem -
nach allem
was du ist
Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
und deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit
Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht gar nicht so schwer.
erich fried
69---
Du
Wo keine Freiheit ist
bist du die Freiheit
Wo keine Würde ist
bist du die Würde
Wo keine Wärme ist
keine Nähe von Mensch zu Mensch
bist du die Nähe und Wärme
Herz der herzlosen Welt
Deine Lippen und deine Zunge
sind Fragen und Antwort
In deinen Armen und deinem Schoß
ist etwas wie Ruhe
Jedes Fortgehenmüssen von dir
geht zu auf das Wiederkommen
Du bist ein Anfang der Zukunft
Herz der herzlosen Welt
Du bist kein Glaubensartikel
und keine Philosophie
keine Vorschrift und kein Besitz
an den man sich klammert
Du bist ein lebender Mensch
du bist eine Frau
und kannst irren und zweifeln und gutsein
Herz der herzlosen Welt
Erich Fried
70---
Gedankenfreiheit
Wenn ich an deinen Mund denke
wie du mir etwas erzählst
dann denke ich
an deine Worte
und an deine Gedanken
und an des Ausdruck
deiner Augen
beim Sprechen
Aber wenn ich an deinen Mund denke
wie er an meinem Mund liegt
dann denke ich
an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Mund
und an deinen Schoß
und an deine Augen
Erich Fried
71---
Liebesgedicht
Verschließe meinen Mund mit deinem Schoß
Die kurze Zeit laß mich ein Teil von dir sein
und dich von mir. Als könnte wirklich
ein Teil sein Ganzes je so überraschen
mit Glück, mit Lust. Da bebt und schmilzt die Welt
auf unseren vier Lippen. Da und da
ist jedes Wort nur noch Umschreibung, ärmer
als das was ist und sich bewegt und lebt
Und doch bleibt dieses oder jenes Wort
vielleicht ein Abglanz, eine Spur, an der
noch zu erkennen wäre, wie wir beide
als wir noch beide hier waren, einander
gut kannten. Spur nur, blaß und viel zu trocken
und ohne dein Vibrieren, deinen Duft
und ganz vorbei
doch noch nicht ganz vergesse
Erich Fried
72---
Erwartung
Deine ferne Stimme
ganz nahe am Telefon -
und ich werde sie bald aus der Nähe
entfernter hören
weil sie dann von deinem Mund
bis zu meinen Ohren
den langen Weg nehmen muß
hindurch zwischen deinen Brüsten
über den Nabel hin
und den kleinen Hügel
deinen ganzen Körper entlang
an dem zu hinabsiehst
bis hinunter zu meinem Kopf
dessen Gesicht
vergraben ist zwischen deine gehobenen Schenkel
in deine Haare
und in deinen Schoß
Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Dich
Dich
dich sein lassen
ganz dich
Sehen
daß du nur du bist
wenn du alles bist
was du bist
das Zarte
und das Wilde
das was sich losreißen
und das was sich anschmiegen will
Wer nur die Hälfte liebt
der liebt dich nicht halb
sondern gar nicht
der will dich zurechtschneiden
amputieren
verstümmeln
Dich dich sein lassen
ob das schwer oder leicht ist?
Es kommt nicht darauf an mit wieviel
sondern mit wieviel Liebe und mit wieviel
offener Sehnsucht nach allem -
nach allem
was du ist
Nach der Wärme
und nach der Kälte
nach der Güte
und nach dem Starrsinn
und deinem Willen
und Unwillen
nach jeder deiner Gebärden
nach deiner Ungebärdigkeit
Unstetigkeit
Stetigkeit
Dann
ist dieses
dich dich sein lassen
vielleicht gar nicht so schwer.
Du
Wo keine Freiheit ist
bist du die Freiheit
Wo keine Würde ist
bist du die Würde
Wo keine Wärme ist
keine Nähe von Mensch zu Mensch
bist du die Nähe und Wärme
Herz der herzlosen Welt
Deine Lippen und deine Zunge
sind Fragen und Antwort
In deinen Armen und deinem Schoß
ist etwas wie Ruhe
Jedes Fortgehenmüssen von dir
geht zu auf das Wiederkommen
Du bist ein Anfang der Zukunft
Herz der herzlosen Welt
Du bist kein Glaubensartikel
und keine Philosophie
keine Vorschrift und kein Besitz
an den man sich klammert
Du bist ein lebender Mensch
du bist eine Frau
und kannst irren und zweifeln und gutsein
Herz der herzlosen Welt
Zwischenspiel
Und wenn mein Zeigefinger
schon naß ist von dir
mir noch Zeit nehmen
und mit meiner Kuppe
auf deinen Bauch
ein Herz malen
so daß dein Nabel
mitten im Herzen der Stelle ist
wo angeblich Amors Pfeil
das Herz durchbohrt hat
und dann erst
wenn du erraten hast
daß es ein Herz war
was ich auf dich
gezeichnet habe
erich fried
73---
Esto es amor (Soneto)
Desmayarse, atreverse, estar furioso,
áspero, tierno, liberal, esquivo,
alentado, mortal, difunto, vivo,
leal, traidor, cobarde, animoso;
no hallar fuera del bien centro y reposo,
mostrarse alegre, triste, humilde, altivo,
enojado, valiente, fugitivo,
satisfecho, ofendido, receloso;
huir el rostro al claro desengaño,
beber veneno por licor suave,
olvidar el provecho, amar el daño;
creer que un cielo en un infierno cabe,
dar la vida y el alma a un desengaño:
esto es amor: quien lo probó lo sabe.
LOPE DE VEGA
74---
¿Qué es poesía?, dices mientras clavas
en mi pupila tu pupila azul.
¿Que es poesía?. ¿Y tú me lo preguntas?.
Poesía..., eres tú.
Gustavo Adolfo Bécquer
75---
Andre beten zur Madonne,
Andre auch zu Paul und Peter;
Ich jedoch, ich will nur beten,
Nur zu dir, du schöne Sonne.
Gib mir Küsse, gib mir Wonne,
Sei mir gütig, sei mir gnädig,
Schönste Sonne unter den Mädchen,
Schönstes Mädchen unter der Sonne!
Heinrich Heine
76---
Erich Fried (1921-1988)
Dich küssen wollen
Dich küssen wollen
deine Finger und deine Handflächen
deine Lippen und deine Zunge
deine Augen und deine Brüste
deine Achselhöhlen und Kniekehlen
und deinen Schoß
Dich einatmen wollen
und ausatmen
und wieder einatmen beim Küssen
dich berühren und sehen wollen
und riechen und kosten beim Küssen
Dich anbeten beim Küssen
und bei jedem Gedanken daran
dich geküßt zu haben
und dich wieder zu küssen
Und wissen daß du es bist
beim Denken an dich
und beim Küssen
77---
Ricarda Huch (1864-1947)
Deine Küsse sind so:
Süß wie einst, süßer als einst.
Was du denkst, was du hoffst, was du weinst,
Was in Jahren entfloh,
Ungeküßter Küsse Glut,
Ungestillter Sehnsucht Drang,
Götterkraft, Jugendblut,
Liebe das Leben lang
Überglüht mich heiß,
Überfließt mich ganz,
Wie von den Bergen Weiß
Des Mondes fließt,
Fern ferner Sonnenglanz,
Durch Nacht versüßt.
78---
Heinrich Heine (1797-1856)
Küsse, die man stiehlt im Dunkeln
Und im Dunkeln wiedergibt,
Solche Küsse wie beselgen
Sie die Seele, wenn sie liebt!
Ahnend und erinnrungsüchtig,
Denkt die Seele sich dabei
Manches von vergangnen Tagen,
Und von Zukunft mancherlei.
Doch das gar zu viele Denken
Ist bedenklich, wenn man küßt;
Weine lieber, liebe Seele,
Weil das Weinen leichter ist.
79---
Heinrich Heine (1797-1856)
O schwöre nicht und küsse nur,
Ich glaube keinem Weiberschwur!
Dein Wort ist süß, doch süßer ist
Der Kuß, den ich dir abgeküßt!
Den hab ich, und dran glaub ich auch,
Das Wort ist eitel Dunst und Hauch
80---
Erich Fried
(1921-1988)
Wie du solltest geküsset sein
(nach einem Gedichttitel
von Paul Flemming,
1609-1640)
für Elisabeth
Wenn ich dich küsse
ist es nicht nur dein Mund
nicht nur dein Nabel
nicht nur dein Schoß
den ich küsse
Ich küsse auch deine Fragen
und deine Wünsche
ich küsse dein Nachdenken
deine Zweifel
und deinen Mut
deine Liebe zu mir
und deine freiheit von mir
deinen Fuß
der hergekommen ist
und der wieder fortgeht
ich küsse dich
wie du bist
und wie du sein wirst
morgen und später
und wenn meine zeit vorbei ist
81---
Ingeborg Bachmann (1926-1973)
Reigen
Reigen - die Liebe hält manchmal
im Löschen der Augen ein,
und wir sehen in ihre eignen
erloschenen Augen hinein.
Kalter Rauch aus dem Krater
haucht unsre Wimpern an;
es hielt die schreckliche Leere
nur einmal den Atem an.
Wir haben die toten Augen
gesehn und vergessen nie.
Die Liebe währt am längsten
und sie erkennt uns nie.
82---
Charlotte von Ahlefeld (1781-1849)
An Gräfin Caroline B.
Der Blumen Sprache möchtest Du ergründen,
Um sanft in ihr Dein Innres zu ergießen?
Um in des Kranzes Harmonie zu winden
Des Herzens Blüthen, die sich still erschließen,
Die noch umhüllt von zarter Knospen Grün,
Nur leise Dir im Hauch der Ahndung blühn.
Allein es ward mir nicht die Macht gegeben,
Zu deuten Dir den seelenvollen Sinn,
Der in der Blumen still entsproßtem Leben
Uns zeigt der Mystik magischen Gewinn,
Die im geheimnisvoll gewebten Schleier
Die Seele füllt mit nahmenloser Feier.
Ich kenne nur der Blumen stilles Blühen,
Und ihr Vergehn im Schooße der Natur.
Nur drei sah ich enträthselt einst erglühen,
Im reinen Lichte einer schönern Flur,
Und diese drei will ich Dir liebend brechen,
Bedarfst Du mehr, Dein Innres auszusprechen? -
So nimm denn aus des Sommers reicher Fülle,
Die Lilie, der Unschuld Ebenbild,
Die in der schimmerlosen, weißen Hülle
Den Balsamodem spendet, süß und mild.
In ihr kannst Du mit stillem Selbstvertrauen
Dein eignes Ich in schöner Reinheit schauen.
Die blaue Winde, die die zarten Ranken
Im linden Hauche jedes Lüftchens regt,
Und seufzend säuselt in dem steten Schwanken,
Das ihrer Blüthe tiefen Kelch bewegt -
Sie ist der Sehnsucht Bild, die – tief verschwistert
Dem Sterblichen – in jedem Busen flüstert.
Die Liebe, die des Lebens Kronen windet,
Hat sich die Purpurrose vorbehalten.
Wenn ihre Gluth der Lilie sich verbindet,
Muß sich des Daseyns höchstes Glück gestalten.
In ihres Duftes wonnevollem Gruße
Berührt der Himmel uns mit süßem Kuße.
Mischt sich der Sehnsucht leicht erregtes Beben
In Deines Herzens ruhiges Entzücken,
Wenn Dir der Unschuld Genien das Leben
Im Morgenglanz der Jugend lächelnd schmücken,
So dufte in der Zukunft dunklem Schooße
Dir lohnend einst der Liebe Purpurrose.
83---
Charlotte von Ahlefeld (1781-1849)
Sehnende Erwartung
Es lärmt der Markt – Geräusch erfüllt die Straßen,
Die Glocke klingt, die Thür geht auf und zu,
Und fremde Stimmen, fremde Schritte schallen
Dem lauschenden, getäuschten Ohr entgegen,
Das jedem Selbstbetruge freudig glaubt.
Doch ach umsonst! es regt sich frohes Leben,
Und Thätigkeit im tosenden Gedränge
Der lauten Stadt, die – wie ein wogend Meer
Den isolirten Felsen rings umspühlt -
Mich Einsame umgiebt. – Ach Deine Stimme
Vernehm' ich nicht – harmonisch würde dann
Das wild verworrene Geräusch mich grüßen,
Das jetzt betäubend mir die Brust beklemmt.
Zerstreuung möcht' ich im Gewühle suchen,
Doch mitten unter Menschen fühl' ich mich allein
Mit Deinem Bilde, das in meiner Seele
Mild wie der Mond in ew'ger Klarheit strahlet.
Ja, immer stehst Du vor mir, rein und liebend,
Für mich der Inbegriff des höchsten Glücks.
Aus Deinem Ernste saug' ich meinen Schmerz,
Begeistrung weht Dein Athem mir entgegen
Und neuen Muth erweckt in mir Dein Blick.
O weile nicht – der Trennung finstre Wolken
Umziehen bald den Horizont des Lebens
Und weite Ferne drängt sich zwischen uns.
So gönne mir die letzten, goldnen Strahlen,
Die meine dunkle Bahn mir noch erhellen.
Denn schnell entflieht die Zeit – auf ihren Schwingen
Nimmt sie die Blüthen unsers Daseyns mit,
Und nur die Reue bleibt, die um versäumte Stunden
Den Trauerflor vergebner Wehmuth breitet.
O laß ihr keinen Augenblick verhüllen,
Den wir dem Schicksal abgewinnen dürfen,
Und eile sehnend, wie ich Dich erwarte,
Dem Herzen zu, das Dir entgegen schlägt.
84---
Annemarie Bostroem (geb. 1922)
Laß mich allein, Geliebter, daß der Morgen
mich schlafend finde wie ein müdes Kind.
Zutiefst in meinem Sein bist Du geborgen,
auch wenn wir nicht mehr beieinander sind.
Du darfst mich nie so lieben, daß das Feuer
der Sehnsucht ganz aus meinem Herzen rinnt
und daß nicht im Vollenden schon ein neuer
Brand sich, entzündet, den mir Deine Hand
nicht wieder löschen kann, wenn sie in scheuer
Liebkosung werbend meinen Leib umspannt.
Wenn Du mich liebst, so laß auch von den Qualen
der Trennung jäh in unser bis zum Rand
erfülltes Glück die ersten Tropfen fallen.
85---
Annemarie Bostroem (geb. 1922)
Du bist in meinen Armen eingeschlafen,
und Deine wirren Haare lagen dicht
an meiner Schulter. Meine Blicke trafen
fast scheu Dein wehrlos offenes Gesicht,
als würden sie ein Heiligtum entweihen,
das sie zu hüten hatten, aber nicht
betreten durften. Kannst Du mir verzeihen,
daß ich Dich küßte, daß ich Deine Nacht
nicht ganz von meiner Nähe zu befreien
vermochte? Und Du bist nicht aufgewacht,
als ich den Mund auf Deine Schläfe legte
und spürte, wie sich die geheime Macht
des Blutes darin auf und ab bewegte.
86---
Annemarie Bostroem (geb. 1922)
Weil ich das Feuer liebe, die Gefahr
der freien Flamme, nicht die stille Glut
des Herdes, weil ich Frieden und Altar
für mich verschmähe, opfert sich mein Blut
doch einer Gottheit nur: der Leidenschaft.
Weil ich das Wasser liebe in der Flut
des hohen Meeres, die erlöste Kraft
der Lüfte, unerbittlich klar und groß,
weil ich die Erde liebe und den Saft
der Früchte, die dem mütterlichen Schoß
entquellen: Atem, Duft und Blut für mich,
weil ich das Leben liebe, schrankenlos,
weil ich die Liebe liebe, lieb ich Dich.
87---
Luise Büchner (1821-1877)
Jugendträume
Kalt ist, wer nicht Liebe suchet,
Spricht der Menschen große Zahl,
Elend ist, wer nie empfunden
Ihre Lust und ihre Qual!
Und das Letzte was sie sagen,
O, ich glaub' es ihnen wohl,
Aber niemals kann ich fassen,
Daß man Liebe suchen soll.
Liebe muß sich auf uns senken
Wie ein schöner, gold'ner Traum,
Ahnungslos muß sie durchdringen
Unsres Herzens tiefsten Raum.
Und wenn dann wir leis' erwachen,
Steht sie da als Königin,
Und vor ihrem Strahlenblicke
Sinken machtlos wir dahin.
So muß uns die Liebe nahen,
Soll sie heil'ge Liebe sein,
Denn der Schlaf schützt reine Herzen,
Himmlisches nur läßt er ein.
Wollte Gott mir leuchten lassen
Solcher Liebe Himmelslicht,
Knieend wollt' ich sie empfangen,
Doch sie suchen kann ich nicht
88---
Hilde Domin (1909-2006)
Dein Mund auf meinem
Dein Mund auf meinem.
Ich verlor allen Umriß.
Tausend kleine Blüten
öffneten ihre Kelche
auf meinem Körper.
Du küßtest mich zärtlich
und gingst.
Trockene Scham wie ein Feuer
stand rot mir
auf Bauch und Brüsten.
89---
Hilde Domin (1909-2006)
Galionsfigur
Ich bin nur die Vorderste.
die Galionsfigur,
die sichtbare Spitze
des dunklen Schiffs.
Schweigend wie Tote
aber die ein Ruf weckt
warten die andern,
eine Front wie ein Keil.
Oft ist als reiße die Haut
zwischen einer von ihnen und mir
und ich werde gesalbt
mit der fremden Erfahrung.
Schalen bieten sich dir
in meinen Händen
und fangen dich auf,
über die ich staune wie du.
Und weil ich zittre vor Liebe
sind alle gierig
daß keine Sehnsucht von dir
ungestillt bleibt.
90---
Hilde Domin (1909-2006)
Frage
Nach dem kleinen Zusammenstoß
- ein Druck der Lippe genügt -,
wenn ich eine Wolke werde
oder ein Schiff ohne Anker
auf deinem Meer
oder, ganz einfach,
eine andere Form
für dich,
was wird aus dir?
Und wie vermeidest du's,
am nächsten Morgen
ein wenig befangen zu sein?
91---
Hilde Domin (1909-2006)
Vor Tag
Der Kuß aus Rosenblättern,
immer neue weiche kleine
Blätter der sich öffnenden Blüte.
Nicht jenes Wenig von Raum
für die Spanne des Wunschs
zwischen Nehmen und Geben.
Du hobst die Decke von mir
so behutsam
wie man ein Kind nicht weckt
oder als wär ich
so zerbrechlich
wie ich bin.
Ich wurde nicht wirklicher
als ein Gedicht
oder ein Traum
oder die Wolke
unter der Wolke.
Und doch, als du fort warst,
der zärtliche Zweifel:
Ist es tröstlich
für einen Mann
mit einer Wolke zu schlafen?
92---
Mascha Kaleko (1907-1975)
Ein Herr namens Tristan
Als er zum ersten Mal in meinem Leben
Die Hand mir drückte (halb verführerisch,
Halb sorgenvoll) - auf einmal wußte ich,
Als wär es lang versiegelt und verbucht:
... Dies war er, den ich unbewußt gesucht.
Nie wieder wird es seinesgleichen geben.
Und von dem Tag, wiewohl es streng verboten
War, ihm zu nahn - es sei denn, schwesterlich -
Wenn er mich ansah, sang mein Herz nach Noten:
ich liebe dich ...
Weh mir: ich liebe, liebe, liebe dich!
93---
Mascha Kaleko (1907-1975)
Alle 7 Jahre
In den weisen Büchern habe ich gelesen:
Alle sieben Jahre wandelt sich dein Wesen.
Alle sieben Jahre, merket, Mann und Weib,
Wandelt sich die Seele, wandelt sich der Leib.
Wandelt sich dein Hassen, wandelt sich dein Lieben.
Und ich zählte heimlich: drei Mal, vier Mal sieben.
Ach, die Geister kamen. Und mein Ohr vernimmt:
Alle sieben Jahre ... Siehe da, es stimmt.
Sorgenvoll betracht ich alle Liebespaare.
Ob sie es wohl wissen: Alle sieben Jahre ... !
Selbst in deinen Armen fragt mein Schatten stumm:
Wann sind wohl, Geliebter, unsre sieben um?
94---
Mascha Kaleko (1907-1975)
Vierundzwanzig Stunden täglich
Manche Leute leben völlig gegen die Natur,
Eingespannt und stur,
Mit »eingebauter« Uhr,
Pünktlich nach Minute und Sekunde.
Doch bei mir ist Gott sei Dank von so was keine Spur,
Dem Glücklichen schlägt nämlich keine Stunde.
Und gegen Hast -
Da bin ich fast
Immun!
Es gibt doch so viel Besseres zu tun:
Vierundzwanzig Stunden täglich
Denk ich an dich.
Nur noch an dich.
Nur noch an dich.
Vierundzwanzig Stunden täglich,
Nachts noch im Traum.
Nichts hat neben dir noch Zeit und Raum.
Ob ich glücklich bin? Na, ganz unsäglich!
Volle vierundzwanzig Stunden täglich.
- Wissen möcht ich, was ich früher
All die zeit gemacht,
Eh ich vierundzwanzig Stunden
Nur an dich gedacht.
Manche Leute wissen nichts als Daten nur und Frist,
Und lauter solchen Mist,
Doch nicht, was Liebe ist.
Mich dauern solche abgehetzten Hunde.
Denn ich bin und bleib nun mal ein ewger Optimist,
Dem Glücklichen schlägt nämlich keine Stunde.
Und gegen Hast
Da bin ich fast
Immun!
Es gibt doch so viel Besseres zu tun:
Vierundzwanzig Stunden täglich
Denk ich an dich;
Nur noch an dich.
Nur noch an dich.
Vierundzwanzig Stunden täglich,
Nachts noch im Traum,
Nichts hat neben dir noch Zeit und Raum.
Ob ich glücklich bin? Na, ganz unsäglich!
Volle vierundzwanzig Stunden täglich.
- Wissen möcht ich, was ich früher
All die Zeit gemacht,
Eh ich vierundzwanzig Stunden
Nur an dich gedacht.
95---
Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)
Der Mond
Wie wundersam erwacht
Die kaum entschlafne Welt,
Wenn in das Haus der Nacht
Der Schein des Mondes fällt.
O Auge, das nicht sieht,
Erloschener Trabant,
O weißer Kelch, entblüht
Der dunkeln Himmelswand.
Dein Licht beglänzt die Saat,
Der schwarzen Wälder Hut,
Und zittert wie ein Pfad
Auf der bewegten Flut.
Und wie in rascher Flucht
Die Wolken dich umwehn,
Erschimmern Land und Bucht
Und schatten und vergehn.
Wie oft schon, reines Licht,
Der Liebe zugesellt,
Hast du das Angesicht
Des Freundes mir erhellt.
Es fällt der Liebe Wort
Süß in die dunkle Zeit,
Wie Mondschein auf den Ort
Der Traurigkeit.
96---
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
DANN
... Dann kam die Nacht mit Deinem Traum
Im stillen Sternebrennen.
Und der Tag zog lächelnd an mir vorbei,
Und die wilden Rosen atmeten kaum.
Nun sehn' ich mich nach Traumesmai,
Nach Deinem Liebeoffenbaren.
Möchte an Deinem Munde brennen
Eine Traumzeit von tausend Jahren.
97---
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
ICH BIN TRAURIG
Deine Küsse dunkeln, auf meinem Mund.
Du hast mich nicht mehr lieb.
Und wie du kamst -!
Blau vor Paradies;
Um deinen süßesten Brunnen
Gaukelte mein Herz.
Nun will ich es schminken,
Wie die Freudenmädchen
Die welke Rose ihrer Lende röten.
Unsere Augen sind halb geschlossen,
Wie sterbende Himmel -
Alt ist der Mond geworden.
Die Nacht wird nicht mehr wach.
Du erinnerst dich meiner kaum.
Wo soll ich mit meinem Herzen hin?
98---
Else Lasker-Schüler (1869-1945)
UNGLÜCKLICHER HASS
(Versrelief)
Du! Mein Böses liebt Dich
Und meine Seele steht
Furchtbarer über Dir,
Wie der drohendste Stern über Herculanum.
Wie eine Wildkatze springt
Mein Böses aus mir,
Und beisst nach Dir.
Entrissen
Von Liebesküssen
Aber taumelst Du
In Armen bekränzter Hetären
Durch rosenduftender Sphären
Rauschgesang.
Nachts schleichen Hyänen,
Wie brütende Finsternisse
Hungrig über meine Träume
Im Wutglüh'n meiner Thränen.
99---
Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942)
Schlaflied für die Sehnsucht
O lege, Geliebter,
den Kopf in die Hände
und höre, ich sing' dir ein Lied.
Ich sing' dir von Weh und von Tod und vom Ende,
ich sing' dir vom Glücke, das schied.
Komm, schließe die Augen,
ich will dich dann wiegen,
wir träumen dann beide vom Glück.
Wir träumen dann beide die goldensten Lügen,
wir träumen uns weit, weit zurück.
Und sieh nur, Geliebter,
im Traume da kehren
wieder die Tage voll Licht.
Vergessen die Stunden, die wehen und leeren
von Trauer und Leid und Verzicht.
Doch dann - das Erwachen,
Geliebter, ist Grauen -
ach, alles ist leerer als je -
Oh, könnten die Träume mein Glück wieder bauen,
verjagen mein wild-heißes Weh!
100---
Clara Müller-Jahnke (1860-1905)
Sonnenwende
Es fiel ein Blütenregen
herab auf Wald und Feld,
ein Netz von Sonnenstrahlen
umspinnt die grüne Welt;
das flammt und blüht und duftet
und höhnt den Glockenschlag,
als ging er nie zu Ende,
der süße, goldene Tag . . .
O Tag der Sonnenwende,
vollblühende Rosenzeit,
du hast mir ins Herz geduftet
berauschende Seligkeit!
Das pocht und glüht und zittert
und bebt im Vollgenuß,
als ging er nie zu Ende,
der süße, erste Kuß -
O Tag der Sonnenwende -
101--
Clara Müller-Jahnke (1860-1905)
Für heut
Ich will dir keine Freude rauben
und binde dich mit keiner Pflicht;
ich baue nicht auf Treu und Glauben,
ein festes Wort begehr ich nicht!
Für all die Liebe laß mich danken,
die du mir reich und glühend gibst, -
und mag dein Herz schon morgen wanken:
Ich weiß, daß du mich heute liebst!
Noch schäumt der Wein im Goldpokale,
noch duftet frisch der Blütenstrauß,
die Jugend gießt die volle Schale
des Glücks ob unsern Häupten aus; -
mit allen seinen Glutgedanken
zu eigen nimm mein tiefstes Sein . . .
und mag der Erdball morgen wanken:
Für heut, Geliebter, bist du mein!
102---
Auf die Hände küsst die Achtung,
Freundschaft auf die offne Stirn,
auf die Wange Wohlgefallen,
selge Liebe auf den Mund;
aufs geschlossne Aug die Sehnsucht,
in die hohle Hand Verlangen,
Arm und Nacken die Begierde;
überall sonst hin Raserei!
Franz Grillparzer
103---
Entmystifizierung des Sex
Du sagst
Ich soll nicht
LIEBE
Und LIEBEN sagen
Das bringt nichts mehr
Meinst du
Und ist zu mystisch
Und zu verschwommen
Nun ja
Ich kann natürlich
Auch die Zähne zusammenbeißen
Und BUMSEN sagen
Oder vielleicht sogar
FICKEN sagen
Wie du
Doch du weißt gar nicht
Wie mich das
Abregt
erich fried
--
voluptuosissimus - 25. Apr, 15:16